Setzen wir unsere Zeitreise durch die Äonen fort. Wir befinden uns etwa 400 – 600 Jahre vor Christi Geburt. In Griechenland erheben sich die Philosophen. In China wird Laotse geboren und verfasst seine Schriften. In Indien wirkt Buddha.
Die alten Götter verschwanden in diesen Jahrhunderten nicht mit einem Finger schnipsen. Doch begann jetzt die langsame Emanzipation des Menschen von der Macht der traditionellen Götter.
Wir können heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, welcher der vielen Veränderungen im Leben der damaligen Menschen den Ausschlag gegeben hat. Sie änderten jedoch ihr in-der-Welt-sein drastisch. Mit Sicherheit war es nicht nur eine einzelne Ursache die den Wandel auslöste. Mit Sicherheit auch keine göttliche Hand die einfach in den Weltenlauf eingriff.
Wir sehen zu dieser Zeit, dass die Größe der sozialen Welt zunimmt, die Handelsbeziehungen wachsen und verschiedenste Einflüsse begegnen sich. Kurz gesagt, das Wissen und die Komplexität der Lebenswelt vergrößerte sich.
Versuchen wir, uns das ein wenig vorzustellen: Es ist das Jahr 356 v.Chr. Wir befinden uns in einem kleinen Dorf als Fellachen am Nil in Ägypten. Von jeher bitten wir Neper um eine reiche Ernte und jedes Jahr wird sie uns gewährt. Unsere Rituale sind uralt und haben sich nie verändert.
Dann kommen Fremde in unser Dorf. Fremde aus dem fernen Griechenland. Sie rufen Demeter um eine gute Ernte an. Auch ihre Bitte wird erfüllt. Wie kann das sein? War hier nicht das Land schon immer Neper geweiht? Wir hören aus anderen Dörfern, dass sie die Rituale vernachlässigen und doch eine gute Ernte einholen. Wie kann das sein?
Eine solch kleine Begebenheit mag die Vorstellung eines Mensch noch nicht verändern, viele solcher Begebenheiten werden ihn zum Handeln zwingen, so er denn überleben will.
Wie er reagiert, das kann sehr unterschiedlich sein. Er kann sich abschotten und Veränderungen ausschließen oder er kann die neuen Möglichkeiten begrüßen und etwas davon für sich auswählen.
Er wird sich in jedem Fall entscheiden müssen. Es gibt kein zurück. Wir sind an einen Punkt of no return gekommen, das Paradies hat seine Unschuld verloren.
Dies ist der Wendepunkt, an dem sich die Wir-Welt des Isis Äons aufteilt in Ich und Welt, in Subjekt und Objekt. Das Ich zeigt sich als Entscheider über eine dinghafte Welt, in der es sich zurecht finden muss. Und das hat Konsequenzen.
Die erste Konsequenz: Der einzelne Mensch wird verantwortlich für das was er tut und er hat damit das erste mal in seinem Dasein die Möglichkeit der Freiheit. Wenn auch nur in dem Maße, dass er sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden kann. Richtig und falsch oder auch gut und böse sind solche Möglichkeiten.
Die zweite Konsequenz: Wahr und falsch erscheinen in der Welt. Was wahr und was falsch ist, gilt es nun zu ergründen. Das ist ganz umfassend gemeint. Die Religion will die Antwort nach dem einzig wahren Gott und dem Sinn des Lebens geben. Die Wissenschaft nach dem wahren Wesen der Welt und die Philosophie nach dem Wahren, Guten und Schönen.
Die dritte Konsequenz: Das Göttliche verschwindet aus der nun als dinghaft wahrgenommenen Welt und begibt sich ins Metaphysische. So wird es für den Menschen nur erreichbar wenn er der Welt entsagt.
Diese Dualitäten prägen das gesamte Osiris Äon. Materie vs. Geist, Gut vs. Böse, Religion vs. Wissenschaft, Subjekt vs. Objekt. Die Liste ließe sich noch beliebig lang fortsetzen. Ein Mensch des Osiris Äons kann der Dualität nicht entkommen.
Und so kann er von nun an Kreuzzüge und Dschihads für den wahren Glauben führen. Auch Kriege für die einzig richtige Ideologie wie Kommunismus gegen Kapitalismus, Diktatur gegen Demokratie sind ein Ausdruck dieses Äons.
Und doch ist das Zeitalter des Osiris ein echter Fortschritt für den Menschen. Ohne den Ausgang aus dem Isis Äon wären wir nicht in der Lage gewesen, uns die Frage nach dem Sinn unserer Existenz zu stellen, Wissenschaften und Kunst zu entwickeln oder uns überhaupt nur als ein Ich wahrzunehmen.
Das Osiris Äon markiert einen Scheideweg. Wir können uns verschreckt rückwärts wenden und vergeblich versuchen, in den Schoß der Isis zu fliehen. Wir können auf der Wahrheit unserer schwarz-weißen Welt beharren. Wir können aber auch Stolz erhobenen Hauptes das Erbe der letzten beiden Äonen antreten und darüber hinaus wachsen. Wir haben die Wahl.
Gewalt und Krieg gab es schon vor dem Osiris-Äon. Das schreibst Du ja auch. Mich interessieren die Unterschiede. Nicht so sehr die Einzelheiten, sondern wie sich der Stellenwert von Gewalt und Krieg sich beim Übergang vom Isis-zum Osiris-Äon verändert haben.
Wir stehen ja jetzt wieder am Ende eines Äons. Und dass Gewalt wenn überhaupt nur kurzfristig erfolgreich ist, weil sie immer zu Gegengewalt führt, wissen wir heute.
Hallo Angel,
im Isis Äon war Gewalt ein probates Mittel um an lebenswichtige Ressourcen zu kommen. Das trifft sowohl im großen Maßstab zu z.B. als die Ägypter gegen die Hethiter Krieg führten, wie auch im kleinen. Also Sippe gegen Sippe, Mensch gegen Mensch. Manche Völker ritualisierten auch die Gewalt. So traten manchmal in Germanien nur die Anführer gegeneinander an um den Krieg zu entscheiden.
Im Osiris Zeitalter kamen dann die Glaubenskriege hinzu. Wenn die Kreuzfahrer schrien „Gott will es.“, oder heute der IS Terror verbreitet, ist dies typisch für das Osiris Äon. Auch ideologische Kriege wie der „kalte“ Krieg mit seinen Stellvertreterkriegen sind typische Beispiele.
Es kamen also zu den Konflikten um Ressourcen noch die Konflikte um die Wahrheiten hinzu. Ich möchte noch anmerken, dass die Entmenschlichung des Gegners bei Glaubenskriegen und ideologischen Kriegen ebenfalls ein Merkmal des Osiris Äons ist. Es sind viele Zitate von Soldaten des zweiten Weltkriegs bekannt, das sie nicht auf Menschen sondern auf Uniformen schossen.
Wie das im Horus Äon aussehen wird?
Da es in diesem Äon wesentlich um die Entwicklung des Individuums geht, können wir hoffen, dass solche Kriege Aussterben. Sich auf Kosten eines Anderen zu entwickeln bedeutet sich selbst ärmer zu machen. Ich wüsste nicht wie ich das mit Thelema vereinbaren könnte.
Bleibt vielleicht noch angemessene Notwehr als einzig akzeptable Form der Gewalt. Wir haben ja noch ein paar Jahrhunderte die Entwicklung zu beobachten und zu gestalten. 🙂