Der Weg aus dem Man

Weg | Jim Semonik@pixabax.com

In den letzten beiden Beiträgen habe ich mich mit dem „Man“ beschäftigt und aufgezeigt, dass wir dem „Man“ in der Gesellschaft nicht entkommen können.

Und jetzt? Einfach ergeben? Nicht mit mir!

Doch Moment! Nicht alles was vordergründig als ein Weg aus dem Man erscheint, ist auch einer.

Der erste Irrweg – Individualismus

„Nichts ist gewöhnlicher als der Wunsch bemerkenswert zu sein.“
Shakespeare

Diesem Weg folgt jeder, der sich sagt: „Ich will anders sein als die anderen.“
Es ist offensichtlich, dass ein solcher Mensch sich lediglich im Vergleich zu anderen sieht und nicht aufmerksam für sich selbst ist.
Verlangt das „Man“ nach Konformität, so verlangt der Individualist nach Nonkonformität. Doch durch die bloße Umkehrung der Orientierung kann man das „System Man“ nicht verlassen. Im Gegenteil. So wird das Anderssein zu einem Anderssein, so wie es von anderen erwartet wird, die ebenfalls anders sein wollen. Der Individualist landet in dem „Man“ einer Subkultur. Gelebte Selbsttäuschung!

Beispiel: Jeder Gothic stylt sich anders, doch die Zugehörigkeit zu dieser Subkultur lässt sich sehr schnell erkennen.

Der zweite Irrweg – Konsumismus

„Status: Von dem Geld dass wir nicht haben, kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die wir nicht mögen.“
aus dem Film Fight Club

Der Konsumismus ist eine Spielart des Individualismus und eine erfolgreiche Marketingstrategie. Wir heben uns von dem anderen durch das ab, was wir konsumieren. So erschaffen wir uns eine Scheinidentität. Besonders gewitzte Firmen nutzen diesen vermeintlichen Weg zur Individualität durch die Möglichkeit der Produktindividualisierung.

Ein typisches Beispiel für Konsumismus: Die Firma Harley Davidson, deren Motorräder mit einer Vielzahl von Gimmiks an den Geschmack des einzelnen Kunden angepasst werden kann.

Der dritte Irrweg – Rückzug

Viele spirituell Suchende sind der Auffassung, sie sollten sich wie ein Sannyasin (ein Entsagender) zurückziehen, und sie mögen eine Zeit lang mit heiterer Gelassenheit gesegnet sein, aber in den meisten Fällen tarnt sich da nur das Ego mit der Maske der Seelenruhe.

Bhagavadgita

Wir können das „Man“ auch zurückweisen und uns in eine einsame Höhle verkriechen. Doch so ziehen wir uns nur zurück wie man sich zurückzieht. Als Negation des „Man“. Das macht uns noch nicht selbstiger, wir sehen uns immer noch im Vergleich zum Man. Darüber hinaus berauben wir uns eines zentralen Aspekt unseres Menschseins: Des anderen Menschen.

Der Weg aus dem Man – Lerne den anderen als Anderen zu verstehen

Die Entschleierung der Gesellschaft des Himmels.
Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern.
Liber L vel Legis

Wenn wir dem „Man“ entkommen wollen, müssen wir lernen, andere Menschen als einzigartige Individuen zu verstehen. Oder besser noch, sie überhaupt erst einmal als Menschen zu sehen, denn im „Man“ ist der andere kein Mensch.

Verstehen | geralt@pixabay.com

Den Anderen zu verstehen, ihn als Menschen zu sehen, bedeutet, ihn aus sich selbst heraus zu verstehen und nicht im bloßen Vergleich zu mir selbst. Dieses typische „Ach ja, das hab ich auch schon erlebt.“ zeigt nur, dass ich den anderen nicht verstehen will, nur einen Vergleich sehe und keinen Menschen vor mir habe.

Einen anderen Menschen verstehen heißt zu begreifen, dass jeder Mensch seine eigene Geschichte hat. Mag ein Erlebnis auch noch so ähnlich sein, er wird es aus seiner eigenen Geschichte heraus anders als Du erleben.

Auch urteilt, beobachtet und entscheidet jeder Mensch nach seinen eigene Kriterien und zieht so seine ganz eigenen Schlüsse. Fängst Du an, bei deinem Gegenüber diese Kriterien herauszufinden, lernst Du die Welt mit seinen Augen zu sehen. So beginnt Verstehen. Luhmann nannte diesen Weg des Verstehens einmal die „Beobachtung zweiter Ordnung“.

Um dir ein Beispiel zu geben:
Ich bin einmal mit einer Bekannten an einem Schaufenster mit kleinen Porzellanfiguren ohne Gesicht vorbei gekommen und empfand sie als leer. Während sie, eine Bildhauerin, die Figuren mit großem Interesse beäugte. Ich fragte sie, was sie in ihnen sah und sie erklärte mir, wie durch die fehlenden Gesichter die dargestellte Gestik an Ausdrucksstärke gewann. Danach konnte ich die Figuren auch mit ihren Augen sehen.

So lernte ich etwas über sie und über mich, denn ich musste mir dabei auch meine Art zu sehen klar machen. In dem Fall, das ich eher auf Gesichter achte denn auf Gestik.

Sich auf einen wechselseitigen Verstehensprozess einzulassen bedeutet, dass alle Beteiligten immer mehr über sich selbst lernen und so immer mehr entscheiden können, wie sie in der Welt sein wollen.
Mehr noch. Durch diesen Verstehensprozess und damit das gegenseitige Ausdifferenzieren aus der Man-Matsche werden wir auf uns selbst zurück geworfen und das „Tu was Du willst!“, die zentrale Aussage des Liber L`s, überhaupt erst ermöglicht.

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